Alle Personen, auch Jugendliche in Institutionen, haben einen ethisch begründeten und durch das Recht auf Informationelle Selbstbestimmung (Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz) auch verfassungsrechtlich verankerten Anspruch auf Vertraulichkeit. Zudem ist die Schweigepflicht durch § 203 Strafgesetzbuch (StGB) strafrechtlich geschützt.
Diese Schweigepflicht gilt nicht nur für Ärzte und Psychologen, sondern auch für andere sog. Berufsgeheimnisträger wie Sozialpädagogen oder Sozialarbeiter, sowie für alle im Öffentlichen Dienst Beschäftigten. Dementsprechend wird bestraft, wer ein Geheimnis einer Rat suchenden Person ohne Befugnis offenbart. Dies gilt nicht nur für die Weitergabe von Geheimnissen im Privaten, sondern auch gegenüber einem ebenfalls schweigepflichtigen Kollegenkreis, den Eltern der betroffenen Person, der Polizei oder dem Gericht. Als Geheimnis gilt beispielsweise der Name der/des Betroffenen, deren/dessen Eigenschaften und persönliche Verhältnisse oder auch Gedanken und Gefühle. Eine Ausnahmeregelung für im Öffentlichen Dienst Beschäftigte, die nicht gleichzeitig zur Gruppe der Berufsgeheimnisträger gehören (zum Beispiel Verwaltungsangestellte oder Lehrer) besteht insoweit, dass sie, wenn sie dem Betroffenen nicht ausdrücklich die Verschwiegenheit zugesagt haben und es sich nicht um ein „besonders intimes“ Geheimnis handelt, Informationen einem zuständigen anderen Behördenangehörigen innerhalb der eigenen Behörde weitergeben dürfen.
Diese Ausnahme gilt auch innerhalb eines Behandlungs- und Betreuungsteams.
Unbedenklich ist eine Weitergabe von Informationen immer dann, wenn eine Einwilligung des Betroffenen zur Informationsweitergabe besteht. Einwilligungsberechtigt ist in aller Regel nur der betroffene Geheimnisträger selbst. Auch Minderjährige können wirksam einwilligen, wenn sie genügend Einsichts- und Urteilsfähigkeit besitzen. Ist die Einsichtsfähigkeit gegeben, scheidet eine Einwilligungsberechtigung der gesetzlichen Vertreter aus. Festgelegte Altersgrenzen existieren nicht.
Jemand Schweigepflichtiges hat jeweils individuell zu prüfen, ob die minderjährige Person Inhalt und mögliche Auswirkungen ihrer – ggf. inhaltsgegenständlich und auf bestimmte Adressaten begrenzten – Einverständniserteilung versteht. Nur, wenn Schweigepflichtige feststellen, dass im konkreten Fall Minderjährige keine genügende Einsichtsfähigkeit entwickelt haben, kann ggf. auf eine Einwilligung der gesetzlichen Vertreter zurückgegriffen werden.
Ist die betroffene jugendliche Person mit der Informationsweitergabe nicht einverstanden, aber nach Einschätzung der Beratungsperson besteht dringend weitergehender Hilfebedarf, um die betroffene Person, sich selbst oder andere Personen zu schützen, ist zu prüfen, ob ein sog. rechtfertigender Notstand (§ 34 StGB) vorliegt, der die Geheimnisweitergabe notfalls auch gegen den Willen der Rat suchenden Person rechtfertigt. Voraussetzung dafür ist, dass eine erhebliche und unmittelbare Gefahr für ein wichtiges Rechtsgut (z. B. Gesundheit des Betroffenen) besteht und diese Gefahr nicht anders abwendbar ist. Entscheidet man sich aus diesen Gründen für einen Bruch der Schweigepflicht, sollten die Gründe dafür dokumentiert werden.
Zusätzlich möglich ist unter Umständen – nach dem sog. Bundeskinderschutzgesetz (Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz KKG) – bei Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung auch gegen den Willen insbesondere der Sorgeberechtigten Kontakt zum Jugendamt aufzunehmen.
Sollte sich abzeichnen, dass bestimmte Straftaten unmittelbar bevorstehen, so besteht sogar eine Offenbarungspflicht, d. h. es muss in der Regel Anzeige bei der Polizei erstattet werden (§ 138 StGB). Dies betrifft u. a. Straftaten wie Mord, Totschlag, Raub, räuberische Erpressung, vorsätzliche Brandstiftung oder Menschenraub, nicht aber sexuelle Gewalt.
Entnommen: Dr. Marc Allroggen, Sexuelle Gewalt in Einrichtungen der Jugendhilfe und in Internaten. Eine Studie zu Erfahrungen zu sexueller Gewalt von Jugendlichen und Heranwachsenden, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.