Ein Interview mit Domspatzen-Designer Bernd Keller

Passend zum Jubiläumsjahr bekommen die Regensburger Domspatzen eine neue, moderne Konzertkleidung. Entworfen hat sie der Bamberger Star-Designer Bernd Keller (u.a. Adidas und Hugo Boss). Kellers zeitloser Retro-Chic ist ein Mix aus britischer Internatskultur, Ralph Lauren und ein kleines bisschen Rolls Royce-Selbstbewusstsein. Ein Gespräch mit Bernd Keller über die Parallelen zwischen Popikone Robbie Williams und den Regensburger Domspatzen, die ästhetische Visualisierung einer Marke und das Selbstverständnis des weltberühmten Chores.

Herr Keller, Sie haben für viele große Marken designt, darunter Adidas, Hugo Boss oder Marc O‘Polo. Jetzt also die Domspatzen. Ihr erster Chor?

Tatsächlich mein erster Chor, aber nicht die ersten Musiker. Ich hatte immer mal wieder mit Musikern zu tun, Michael Patrick Kelly etwa. Oder 2016 habe ich als Designvorstand von Marc O‘Polo in der Londoner Küche von Robbie Williams gesessen, seine Kids auf dem Schoß, und wir haben aus Anlass der 50-Jahr-Feier von Marc O’Polo eine gemeinsame Kollektion entworfen. Ich selbst war neun Jahre in einem staatlichen Internat in meiner Heimatstadt Pegnitz und habe in der Zeit auch im Chor gesungen. Ich habe also auch ganz persönlich eine Affinität zur Bühne. Ob Robbie Williams oder Regensburger Domspatzen, jeder Künstler ist seine ganz eigene Marke. Und diese Marke muss man in der Mode auf der Basis ihres ganz eigenen Stils, ihrer ganz persönlichen Werte ästhetisch visualisieren.

Was genau sind die modischen Werte der Domspatzen?

Zu Beginn unserer Zusammenarbeit 2023 habe wir – Achtung Wortspiel – ein Coreteam gegründet, das aus Chorleitung, Marketing aber eben auch aus Chormitgliedern bestand, also Knaben und Mädchen, die bei dem Projekt als Fashion Ambassadors fungierten. Gerade die Sängerinnen und Sänger haben ganz viel Input reingebracht in das Brand Book für die neue Konzertkleidung, zu Stil, Farben und Formen. Ich habe am Anfang ganz viele Fragen gestellt, ich wollte wissen, wie angenehm muss der Stoff beim Konzert sein, wie praktikabel die Schnitte, geht es Euch mehr um die funktionelle Passform oder um das Stilistische? Und wie ist euer Selbstbild? Das war total spannend für mich, denn die Antworten waren ganz klar: „Wir sehen uns auch sehr elegant“, wurde dann gesagt. Oder: „Wir sehen uns zwischen Porsche und Rolls Royce“. Ein andermal wurde gesagt: „Es gibt auch andere Chöre, aber wir wollen schon mit die Besten sein“. Das hat mir gezeigt, dass die Domspatzen wie Athleten denken, die sich in ihrer Kleidung so wohlfühlen müssen, damit sie immer ihre beste Performance abliefern können.

Die Domspatzen haben eine exakt 1050-jährige Historie. Wie schafft man es, eine so irre lange Vergangenheit modisch in die Moderne zu führen?

Gerade aus den Gesprächen mit den jungen Sängerinnen und Sängern ist ein toller Konsens entstanden. Als Domspatzen-DNA haben wir einen Dreiklang aus Emotion, Disziplin und Klangerlebnis herausdestilliert. Das ist der Kern. Ich habe ihn den Mezzoforte-Kern genannt. Die Domspatzen als Institution mögen über 1000 Jahre alt sein, aber der Kern ist bis heute unverändert. Nicht der Zeitgeist ist wichtig, sondern das ganz Spezielle, das Einzigartige an den Domspatzen. Wie also kann ich das visuell darstellen mit Farben und Formen? Ich finde: Mit Altgold, weiß und dem typischen Domspatzen-Blau und natürlich darf die typische Domspatzen-Fliege mit dem Stein in der Mitte als Wiedererkennungswert nicht fehlen, die Tradition und Moderne zusammenhält. Das ist das neue Antlitz der Domspatzen für die nächsten 15 Jahre. Mindestens.

Bei der Geburtstagsgala am 5. Juli haben die Sängerinnen und Sänger der Domspatzen ihre neue Konzertkleidung das erste Mal öffentlich gezeigt. Auf den ersten Blick erinnert ihr Domspatzen-Look an englische Nobelinternate à la „Club der toten Dichter“. War das so gewollt?

Wir haben uns ganz bewusst an diesem Boarding School-Look orientiert, weil er klassisch und zeitlos ist, und deshalb im Look & Feel immer auch modern bleibt. Ich nenne diesen Chic „Retro Nice“. Die Mädchen tragen ein dunkelblaues Kleid mit knielangen Plisseerock dazu eine Bluse und die Fliege in Altgold und darüber ein blauer Blazer. Als Accessoire dazu ein dezenter blauer Gürtel mit goldener Schließe. Für die Frauenstimmen haben wir uns einen gestreiften Blazer ausgedacht passend dazu eine Hose mit leichten, grauen Streifen.

Und die Jungs?

Die Knaben tragen einen unifarbenen dunkelblauen Anzug mit weißem Hemd mit Kragen und Domspatzen-Fliege. Dazu ein altgoldener Vintage-Pullunder mit blauen Streifen am Kragen. Die Männerstimmen bekommen einen dunkelblauen Anzug mit Pinstripe, dazu eine Krawatte in Altgold. Der Spitzkragen-Fasson macht das Sakko noch eleganter und erinnert an englische Maßanzüge. Den schwarzen Anzug für die Männer haben wir aussortiert, schwarz und blau beißt sich zu sehr, wenn man gemeinsam auf der Bühne steht.

Was war die größte Herausforderung für Ihre erste Chorkollektion?

Die große Bandbreite. Bei einer klassischen Kollektion gibt es maximal fünf unterschiedliche Größen. Bei den Domspatzen waren es 13 verschiedene Größen, vom schmächtigen Fünftklässler bis zum 19-Jährigen jungen Mann. Und zugleich die kleinen Stückzahlen, da die Kollektion ja nicht in den freien Verlauf geht. Das macht das ganze Projekt sehr viel komplexer und teurer als eine gewöhnliche Kollektion. Zum Glück konnte ich mein ganzes Netzwerk aktivieren für die Beschaffung der Materialien, Logistik, Kalkulation und Qualitätskontrolle. Bei einer derart spannenden Herausforderung wollen alle dabei sein.

Sie sind in der oft so oberflächlichen Modeindustrie auch deshalb ein Solitär, weil Sie als bekennender Christ die Schöpfung im Auge haben und konsequent auf nachhaltige Materialien setzen. Auch bei der Domspatzen-Kollektion?

Ich habe mich 2019 auch deshalb selbstständig gemacht, weil ich im Bereich Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft noch tiefer einsteigen wollte. Mein Ansatz war: Was kann ich machen, damit es noch wertiger ist! Da ist die Modebranche oft noch zu oberflächlich. Bei den Domspatzen benutzen wir als Stofflichkeit im Wesentlichen ein hochwertiges Woll-Polyester-Gemisch, das ist vor allem der Langlebigkeit der Kleidung geschuldet, die wir gewährleisten wollen. Das heißt viel weniger Abrieb und Verschleiß bei der Reinigung. Das Polyester ist komplett recycelt und nach dem GRS-Siegel (Global Recycled Standard; d. Red.) zertifiziert. Auch haben wir nur organische Baumwolle und regenerative Modalfaser benutzt, biologisch abbaubar und kompostierbar.

Stimmt es eigentlich, dass Sie alle Ihre Skizzen und Entwürfe mit „SDG“ signieren? Das Kürzel steht für „Soli Deo Gloria“ und heißt: „Alles Gott zu Ehren“.

Sie sind erstaunlich gut informiert – aber das stimmt! (Keller grinst) Ich bin sehr christlich geprägt, habe drei Kinder und bin seit 30 Jahren mit derselben Frau verheiratet. Auf meiner imaginären Visitenkarte steht: Ich bin kreativ, ich kann gut verknüpfen und ich bin ein positiver Mensch. Ich bin sehr dankbar, dass ich mit meinem Talent Werte schaffen kann. Das ist nicht selbstverständlich.

Singen Sie selbst noch ab und zu?

Ich singe immer noch sehr gern. Als 18 Jähriger musste ich mich entscheiden, was aus mir werden sollte. Werde ich Pfarrer, Designer oder Schauspieler? Heute sind alle drei Bereiche Bestandteil meines öffentlichen Lebens: Glaube, Ästhetik und immer mal wieder auf der Bühne. In den letzten zwei Jahren habe ich an einem eigenen Kinder-Musical für die Kirchengemeinde in Bamberg geschrieben, das im Sommer uraufgeführt wird. Es heißt „ICH GLAUBE“ und ist ein Modern Worship Musical geworden. Ich wollte aus Kinder – und Jugendperspektive die großen Fragen stellen: Was ist wahr? Wem kann ich vertrauen? Was soll ich glauben? Das hat großen Spaß und ganz viel Sinn gemacht – gerade in Zeiten wie diesen.

Herr Keller, vielen Dank für das Gespräch.

Fotos: Michael Vogl/Domspatzen