Drei mit hoher Flugkurve

Mit Alexander Ottmann, Noah Egersdörfer und Lukas Regensburger haben drei Domspatzen-Schüler aus der 9. Klasse einen Wetterballon über 23 Kilometer in die Stratosphäre steigen lassen und mit ihren Experimenten den 2. Platz bei „Jugend forscht“ belegt. Ein Laborbericht aus luftiger Höhe.

Die Regensburger Domspatzen sind weitgereist, aber noch nie so hochgestiegen. In gut 23 Kilometern Höhe ist der Himmel über Regensburg eine ebenso wunderschöne wie lebensfeindliche Umgebung: Die Stratosphäre, zwischen Weltraum und Erdatmosphäre gelegen, bei minus 50 Grad, zu wenig Sauerstoff und zu viel UV-Strahlung. Genau dorthin ließen Alexander Ottmann, Noah Egersdörfer und Lukas Regensburger am 18. Januar diesen Jahres um kurz vor 11 Uhr vormittags einen Wetterballon aufsteigen. Vom Boden aus blickten die Jungwissenschaftler der „Begabtenförderung Naturwissenschaft“ an der Seite ihrer „Forschungsleiter“, Chemielehrerin Stefanie Frank und Physiklehrer René Grünbauer, mit neugierigen Blicken dem Ballon hinterher – bis er nicht mehr zu sehen war. Über ein Jahr lang hatten sich die drei Schüler auf ihr „Projekt Himmelslabor“ vorbereitet, jetzt war der Moment der Wahrheit gekommen: Würden ihre Vorausberechnungen zu Flugkurve und Höhe stimmen? Würden die meteorologischen Messgeräte und Radiosonden funktionieren? Würden Sie den Wetterballon mit der am Fallschirm hängenden Nutzlastkapsel nach der Landung wiederfinden? „Wir wollten zeigen, wie spannend Luft- und Raumfahrt sein kann und was man dort oben schon mit einfachen Mitteln selbst erforschen kann“, schreiben Ottmann, Egersdörfer und Regensburger in ihrer 22-seitigen Projektarbeit, mit der sie im Februar bei „Jugend forscht“, Kategorie „Geo- und Raumwissenschaften“, den 2. Platz belegten.

Mitte Mai sitzen Alex, 15, Noah, 14, und Lukas, 15, im Physikraum des Domspatzen-Gymnasiums und erzählen noch einmal wie das alles kam mit ihrem Wetterballon, der zum „Himmelslabor“ wurde. Es gibt inzwischen ein fünfminütiges Video von ihrer Forschungsarbeit, das die Schüler auf YouTube hochgeladen haben. Es zeigt den Auf- und Abstieg des Ballons, aufgenommen von der Kamera, die an der Nutzlastkapsel angebracht war. In der Mitte des Videobildes ist das Signum der Regensburger Domspatzen zu sehen, die beiden Türme des Doms und der Spatz davor. Und drum herum der Panoramablick erst auf das „Kaff“ (so nennen die Domspatzen ihr Nest liebevoll), dann Regensburg von oben, etwas später steigt der Ballon durch die Wolkendecke hindurch und irgendwann ist die Stratosphäre erreicht, die Sonne glüht, darunter Wolken und Himmelsblau. Es ist ein Meditationsvideo über die Schönheit der Erde und der Beweis dafür, wie hoch hinaus es gehen kann, wenn man sich ehrgeizige Ziele setzt.

Über ein Jahr Forschungsarbeit
Alles fing damit an, dass Alex, Noah und Lukas in einer Computerzeitschrift über einen Artikel über Wetterballone stolperten. Sie erfuhren, dass bis zu 15.000 Ballone jedes Jahr allein von Deutschland aus – von Profis wie Laien – für meteorologische Forschungszwecke in die Stratosphäre (zwischen 12 und 50 km über der Erde) geschickt werden. Mit der Idee gingen sie zu ihrem Physiklehrer René Grünbauer und diskutierten mit ihm eine eigene Forschungsexpedition. Sie recherchierten, dass ein Wetterballon Marke „Stratoflights“ inklusive Starter-Kit für die Experimente rund 1500 Euro kosten würde. Die „Junior Ingenieur Akademie“ von der Stiftung Deutsche Telekom, Partner von „Jugend forscht“, übernahm dafür schließlich die Kosten. Es war der Beginn einer über einjährigen Recherche von der ersten Idee bis zur fertigen Präsentation. Ein langwieriger Prozess, auch weil man einen Wetterballon ohne Genehmigung durch Polizei, Luftfahrtamt und Flugsicherung gar nicht steigen lassen kann. Und dennoch: Die Begeisterung der Schüler war nicht mehr auf dem Boden zu halten.

„Alle drei haben ein super großes Interesse, das ist schon mehr als die halbe Miete für das Gelingen eines solchen Projekts“, erzählt René Grünbauer, der kein Lehrer von der Stange ist, sondern ein ungewöhnlicher Quereinsteiger. Ein halbes Berufsleben lang hat er für Siemens als Programmierer gearbeitet (u.a. Funkschlüssel für Autos), 2007 sattelte er um auf den Lehrerberuf, der ihm heute eine ganz neue Erfüllung gibt, wie er sagt. Von Anfang an habe er sich pudelwohl gefühlt bei den Domspatzen und dann kann er wunderbar über „die logische Nähe zwischen Musik und Mathematik“ philosophieren. Auch deshalb findet er immer wieder Nachwuchs für seinen Hochbegabten-Club, der offiziell „Eliteförderung Mathematik“, kurz ELM, heißt, aber Grünbauer mag den Namen nicht. Elite klingt ihm viel zu elitär. „Wir haben nicht nur Einserschüler, es geht um Neugierde“, sagt er. Wenn er im Physik-Unterricht Experimente und Zusammenhänge erläutert, dann gebe es immer diejenigen, die sofort wegdösen und andere, die alles mitkriegen wollen. Zu denen gehörten Alex, Noah und Lukas. Also fragte er sie, ob sie nicht Lust hätten einmal die Woche in den Club zu kommen. Ein Club, mit dem man dem Himmel einen Besuch abstatten kann.

Kaum war der Wetterballon gestartet und außer Sichtweite, stiegen die drei Jung-Ingenieure ins Auto von Alexanders Eltern, um ihrem unbemannten Flugobjekt via GPS-Tracker zu folgen. Die Vorausberechnungen hatten eine Flugzeit von zwei bis drei Stunden ergeben. Laut „Stratoflights“-App sollte die Landung in der Nähe von Deggendorf erfolgen, irgendwann klingelte Alex‘ Handy. Am anderen Ende der Leitung der siebenjährige Max und seine Eltern. Max hatte die Sonde auf einem Acker beim Spielen gefunden, allerdings in der entgegensetzten Richtung im mittelfränkischen Pleinfeld. Die Jungs drehten um und waren 90 Minuten später bei ihm. Max erzählte ihnen aufgeregt, dass er zufällig gesehen habe, dass „da was vom Himmel gefallen war“. Die Styroporsonde war mit einem kleinen Fallschirm zurück zur Erde geflogen, nachdem der mit Helium gefüllte Ballon in 23 Kilometern Höhe aufgrund des niedrigen Luftdrucks geplatzt war. Dass der GPS-Tracker Probleme bereiten könnte, hatten Alex, Noah und Lukas mit einkalkuliert und Alex‘ Handynummer auf der Sonde hinterlassen – andererseits hätten sie ihren Wetterballon oder das, was von ihm übrig geblieben war, wohl nie wieder gefunden. Zum Abschied erzählte ihnen Max mit leuchtenden Augen, dass er einmal Astronaut werden will.

Alle Experimente glücken
Zurück in Regensburg machten sich Alex, Noah und Lukas an die Experimente, die sie sich vorgenommen hatten. So wollten sie u.a. die Ozonkonzentration in der Stratosphäre messen und mit der auf der Erde vergleichen. Wie würden Flüssigkeiten und andere Stoffe wie Kupfer in den Extrembedingungen der Stratosphäre reagieren? Wie konnte man Steig- und Fallgeschwindigkeit des Ballons genau berechnen und wie hoch würde der Ballon am Ende exakt steigen? Für den Ozonnachweis hatten Alex, Noah und Lukas ein Reagenzglas an der Sonde befestigt, das mit Kaliumiodid, dem Natriumsalz Bromthymolblau und destilliertem Wasser gefüllt war. Damit das Ozon als Oxidationsmittel wirken konnte, wurde das Reagenzglas mit einer löchrigen Alufolie verschlossen. Und tatsächlich findet eine Reaktion statt: Vor dem Flug war das Gemisch dunkelblau, während des Fluges färbte es sich hellblau und danach war es grün. Mittels eines Kontrollversuchs aus den Daten, die der Data-Logger während des Fluges gesammelt hatte (u.a. Temperatur, Luftdruck), konnten die drei Jungwissenschaftler, unter Anleitung von Chemielehrerin Stefanie Frank, bestätigen, „dass die richtige Reaktion stattgefunden hat und die Sonde höchstwahrscheinlich auf Ozon gestoßen ist“, heißt es in der schriftlichen Präsentation. Auch das Kupfer-Experiment glückte, das Kupfer war oxidiert und reduziert („Redox-Reaktion“), das heißt, es war mit einer schwarzen Schicht bedeckt und eingedellt. Auch die weiteren Erkenntnisse verblüffend: So konnten Alex, Noah und Lukas nachweisen, dass der Aufstieg genau so lange gedauert hat wie der Abstieg und der Ballon in der Mitte der „symmetrischen Flugroute“ geplatzt war. Bei der komplizierten Berechnung der Luftdichte stimmte der gemessene Wert gar mit den Werten aus der Literatur überein. Am Ende, so der Datenlogger, war der Ballon knapp 80 Minuten in der Luft, hatte 120 Kilometer zurückgelegt und mit einer Geschwindigkeit von bis zu 86 km/h seine maximale Flughöhe von 23,548 Kilometer erreicht.

Die beiden Forschungsleiter Grünbauer und Frank sind stolz auf ihre Jungforscher: „Es kann so viel schief gehen, du findest die Sonde nicht mehr, die Kamera liefert keine Bilder, aber es hat alles geklappt, das war die größte Überraschung. Unser Experiment beweist, dass man auch als Schüler die theoretische Physik der Erde beweisen kann“. Alex, Noah und Lukas denken derweil schon an das nächste Projekt. „Vielleicht irgendwas mit KI“, sagt Alex. Vielleicht ja in der Oberstufe, dann wollen alle drei spätestens wieder bei „Jugend forscht“ teilnehmen. Das würde auch für ihr Abitur Sinn machen, ließe sich ein solches Projekt doch als Ersatz für die oft lästige Seminararbeit anrechnen. Und so wie wir Alex, Noah und Lukas kennen – volle Punktzahl inklusive.

Fotos: Rene Grünbauer/Domspatzen/Gymnasium