Wer singt, betet doppelt

Predigt von Bischof Rudolf Voderholzer
zur Feier des 1050-jährigen Jubiläums der Domspatzen
am 6. Juli 2025 im Dom St. Peter

Fotos: Michael Vogl/Domspatzen

„Freut euch“, „jauchzt“, „verherrlicht Gott“, „ich will mich allein des Kreuzes rühmen“, „dankt“ dem Herrn, „spielt zur Ehre seines Namens“.

Die Schrifttexte, liebe Domspatzenfamilie und liebe Schwestern und Brüder im Herrn,

die Schrifttexte und die Gebetsworte des heutigen 14. Sonntags im Jahreskreis (Jes 66,10-14c; Antwortpsalm 66; Gal 6,14-18; Lk 10,1-12.17-20) rufen uns auf unterschiedlichste Weise zur Reaktion auf Gottes Heilshandeln auf und breiten in gewisser Weise die ganze Palette aus der Antwortformen auf Gottes Selbstmitteilung.

Der Prophet Jesaja blickt auf die durch Gottes Gnade ermöglichte Heimkehr Israels aus dem babylonischen Exil und ruft das biblische Jerusalem, aber auch schon das neue Jerusalem, das die Kirche ist, zu jubelndem und jauchzendem Lobpreis auf, was prompt im entsprechenden Antwortpsalm erfüllt wird:

„Jauchzt Gott zu, alle Länder der Erde! / Spielt zur Ehre seines Namens!“

Der Apostel Paulus schließt seine Auseinandersetzung mit den Galatern ab mit dem Hinweis, dass er sich nicht seiner eigenen Werke oder seiner eigenen Worte rühme, sondern allein des Kreuzes Christi, womit der Höhepunkt göttlicher Zuwendung und der tiefste Grund für unsere Dankbarkeit benannt sind: Gottes unverbrüchliche Liebe.

Und im Evangelium erinnert der Herr Jesus selbst seine Jünger daran, dass sie sich nicht darüber freuen sollten, dass ihnen die Dämonen gehorchen, sondern dass sie dafür danken sollten, dass ihre Namen im Himmel verzeichnet sind.

Dass dieser göttliche Auftrag gelingt, gut gelingt und wir dem dreifaltigen Gott den würdigen Lobpreis nicht schuldig bleiben, dazu helfen uns im Regensburger Dom seit 1050 Jahren die Domspatzen, dazu helft heute Ihr, liebe Sängerinnen und Sänger des Domchores, ja aller vier Chöre, uns allen zusammen mit dem Herrn Domkapellmeister und den anderen Chorleitern, und wir können Euch dafür nicht genug danken.

Ein berühmtes Wort des heiligen Augustinus, des Ordensvaters unseres neuen Papstes Leo XIV. lautet: „Qui cantat bis orat“, ein Wort aus den Enarrationes in Psalmos, also den Erläuterungen zum Gebetbuch der Bibel, zu den Psalmen. Auf Deutsch: „Wer singt, betet zwei Mal, oder betet doppelt“.

Was aber heißt das genau? „Wer singt, betet doppelt“, das ist nicht im quantitativen Sinn gemeint, sondern im qualitativen Sinn.

Denn, so Augustinus in seiner Auslegung zu Psalm 72, zu einem Hymnus gehört das Lob, gehört Gott als Adressat des Lobes, und es gehört dazu der Gesang. Der Gesang gibt dem Lob noch die Tiefe des Gemütes, die Gabe des Herzens. Deshalb betet doppelt, wer seinen Lobpreis singend vor den Herrn bringt.

Lieber Herr Domkapellmeister, die Liedauswahl, die Sie für diese Jubiläumsmesse getroffen haben, bildet darüber gewissermaßen auch fast die ganze Bandbreite der Jahrhunderte ab, in denen der Domchor in Regensburg gesungen hat und singt.

Angefangen von der Gregorianik, über die klassische Vokalpolyphonie und den Frühbarock bis in die Neuzeit, dazu zwei Neukompositionen, deren Uraufführung wir erleben dürfen. Das Ganze herumgruppiert um die vielleicht berühmteste und bedeutendste Messkomposition der Geschichte, die Missa Papae Marcelli von Palestrina, die die Väter des Konzils von Trient davon überzeugte, dass nicht nur der Choral, sondern auch die Vielstimmigkeit der Verkündigung des Wortes dienen kann.

Danke dass Sie mit alldem auch noch die beiden anderen großen Jubiläen berücksichtigen, welche die Kirche in diesem Jahr begeht: Die 1700-Jahr-Feier des Konzils von Nizäa, dessen Glaubensbekenntnis Sie, lieber Herr Domkapellmeister, neu vertont haben, und mit der Missa Papae Marcelli auch den 500. Geburtstag ihres Schöpfers, von Giovanni Pierluigi da Palestrina.

Auch der Volksgesang wird berücksichtigt, so dass wir uns alle im Dom als eine große Gesangs- und Gebetsgemeinschaft erleben dürfen, bis wir unser Gebet im Te Deum am Schluss gemeinsam und mit dem Überchor werden krönen dürfen. Durch den gemeinsamen Glauben an den Herrn Jesus Christus, der derselbe ist, gestern, heute und in Ewigkeit (vgl. Hebr 13,8), durch den über die Jahrhunderte gemeinsamen Glauben fügt sich auch die Vielfalt der Stile zu einem großartigen Ganzen zusammen, das uns das Herz aufgehen lässt.

Die Kirchenmusik in der Regensburger Tradition, sie zeigt uns strahlend, dass der Gesang und das Orgelspiel nicht „schmückendes Beiwerk“, „Umrahmung“ oder „Untermalung“ sind, oder wie die oft etwas unbeholfenen Formulierungen lauten mögen, sondern integraler Bestandteil der Liturgie, Verkündigung im besten Sinne des Wortes. Genauso, wie es die Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils formuliert. vgl. Sacrosanctum Concilium, Art. 112).

Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Formung durch das gesungene Gebet und die Einführung in die großartige kulturelle Tradition der Kirche, wie Sie durch die Domspatzen-Schulung erfolgt, nicht nur durchwegs selbstbewusste, frohe und umfassend menschlich ausgebildete junge Menschen heranbildet, die „man überall hinstellen“ kann, wie es gestern beim Gala-Abend einmal so schön geheißen hat, sondern immer wieder auch geistliche Früchte zeitigt, ich denke etwa an die Taufe heuer in der Osternacht oder an die stattliche Zahl von Priestern, die aus den Reihen der Domspatzen hervorgegangen sind, für alle die heute Pater Robert Mehlhart OP stellvertretend am Altar steht.

Kardinal Ratzinger, der Bruder des langjährigen Domkapellmeisters Georg Ratzinger und spätere Papst Benedikt, hat in seinen Schriften zur Kirchenmusik – bei denen man immer auch sein eigenes Erleben der Regensburger Tradition mitdenken muss – er hat unermüdlich die Bemühung um die hohe Kunst der Kirchenmusik als Ausdruck des Glaubens verteidigt.

„Eine Kirche, die nur noch ›Gebrauchsmusik‹ macht“, – so sagt er schon in seinem Interview „Zur Lage des Glaubens“ 1985 – sie „verfällt dem Unbrauchbaren und wird selbst unbrauchbar. Ihr ist Höheres aufgetragen. Sie soll – wie es vom alttestamentlichen Tempel gesagt ist – Stätte der ‚Herrlichkeit‘ sein und freilich so auch Stätte, an der die Klage der Menschheit vor das Ohr Gottes gebracht wird. Sie darf sich nicht im gemeindlich Brauchbaren beruhigen; sie muss die Stimme des Kosmos wecken und, indem sie den Schöpfer verherrlicht, dem Kosmos seine Herrlichkeit entlocken, ihn selbst herrlich und damit schön, bewohnbar, liebenswert machen.“ (Zur Lage des Glaubens, 1985; JRGS 13, 135) – Oder an anderer Stelle: „[D]as Aufgeben des Schönen“ hat sich faktisch als Ursache für eine „pastorale Niederlage“ erwiesen (JRGS 13, 136).

Umso dankbarer sind wir, dass es die Domspatzen gibt, von denen schon der Psalmist betet: „Passer invenit sibi domum“ – der Sperling findet sein Haus – auch dazu heute eine Neukomposition, zur Kommunion werden wir sie hören. „Auch der Sperling findet ein Haus, und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen, Deine Altäre, Herr der Heerscharen.“ „Der Beter des Psalms 84 bezeichnet sich selbst als einen Spatzen, der nun endlich ‚bei den Altären‘ den Ort seiner Bestimmung gefunden habe. […] Er kann fliegen und singen; das Singen ist selbst eine Art Fliegen“ (J. Ratzinger, Der Domkapellmeister, 22). Danke, dass Ihr uns mit Eurem Gesang erhebt, und so wahr werden lasst, was wir im Tagesgebet gesungen haben:

„Barmherziger Gott,
durch die Erniedrigung deines Sohnes hast du die gefallene Menschheit wieder aufgerichtet und aus der Knechtschaft der Sünde befreit.
Erfülle uns mit Freude über die Erlösung und führe uns zur ewigen Seligkeit.“

Amen.